Monday, October 19, 2015

Der junge Mann kann nicht mehr

Die Sonne verschwand am Horizont. Blut waberte im Meer unter ihr, bis der letzt Lichtstrahl von der Dunkelheit verschluckt wurde. Der junge Mann trat einen Schritt vor. Jetzt war die Zeit. Er wollte nicht, dass man ihn fand. Er wollte verschwinden. Leise, unauffällig, unbeachtet. So wie sein Leben verlaufen war. Noch ein Schritt, Steine bröckelten von der Kante der Klippe, stürzten polternd in die Tiefe. Das Ende. Keine Schmerzen mehr, kein Unverständnis, keine Bedrängnis. Erlösung, Ruhe, Frieden. Es hatte so gar nichts beängstigendes, diese Verschwinden, dieses aus der Menschenwelt gehen. Niemand sollte sagen dürfen, er habe nur einen Hilferuf abgesetzt. Die Zeit der Hilferufe, sie war lange vorbei. Er hat so laut geschrien, unter Schmerzen, unter Angst. Niemand hatte gehört. Niemand hatte zugehört. Am Ende war er wie zu Beginn alleine. Doch jetzt war es eine erlösende Einsamkeit. Eine Hand legte sich auf seine Schulter. Erschreckt drehte der junge Mann sich um. Er blickte in ein wettergegerbtes Gesicht. Ein alter Mann stand vor ihm mit langen, grauen Haaren. Er trug einen langen Mantel. Seine blauen Augen blitzten den jungen Mann an. "Du willst schon gehen?", sprach der alte Mann ihn an. "Ja, denn es gibt nichts mehr, was mich hält, nichts was so schön wäre wie erlösende Stille." Der alte Mann nickte: "Ich kann dich gut verstehen, es ist schmerzvoll, unsichtbar zu sein." Woher wusste der alte Mann von seinem Leid? Der junge Mann trat einen Schritt vor, wollte bereit sein, für den letzten Weg. Der alte Mann trat zu ihm, stellte sich neben ihn, blickte ihn an. "Schön, nicht war, die Ruhe des Meeres?" "Ja." Der Junge man nickte. Eine Ruhe, die heilt, die lindert. Ich war schon häufig hier, aber nie so nahe daran, meine Ruhe zu finden." "Ich weiß." Der alte Mann nickte. "Aber Ruhe für wen?" "Für mich." Der junge Mann war sich sicher. "Vor der Welt, die mich nie gesehen, mich nie verstanden hat. "Und du gönnst deiner Welt Ruhe v [...]

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